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Die menschliche Seite der Chatbots

Ines Balcik
19.06.2022

Chatbots sind auch nur das, was Menschen aus ihnen machen. Dr. Cäcilie Kowald gibt im Interview spannende Einblicke in ihre Arbeit an der Schnittstelle von Sprache und Technik. Besonders aufschlussreich und lesenswert finde ich ihre Einschätzung zum Konzept der Künstlichen Intelligenz.

Vielen Dank für die Antworten aus Expertinnensicht auf unsere Fragen!

Worin hast du promoviert?

In Germanistik, zum Thema „Deutschsprachige Oratorienlibretti von 1945–2000“. Das hat mit Chatbots erst einmal überhaupt nichts zu tun – aber ganz im Verborgenen irgendwie doch. Denn ebenso wie ein Libretto sind Dialoge für Chatbots letztlich eine sogenannte „funktionale Textgattung“ – das heißt: Der Text folgt nicht nur seinen eigenen literarischen oder kommunikativen Regeln, sondern muss sich der Funktionsweise des Mediums, für das er geschrieben wird, unterwerfen. Dieses Medium ist beim Chatbot einerseits der Chat, andererseits die Software im Hintergrund, beim Libretto die jeweilige musikalische Gattung (Oper oder Oratorium) bzw. auch ganz einfach die (gesungene) Musik. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld im Text, denn seine eigenen Regeln kann er ja nicht ignorieren.

Hattest du in Studienzeiten schon das Thema Chatbots in irgendeiner Form auf dem Schirm? Anders gefragt: Wie kamst du zu den Chatbots?

Inwieweit das Zufall ist – immerhin ist meine Promotion fast 15 Jahre her –, kann ich nicht sagen. Kein Zufall ist, dass ich mich schon immer (oder zumindest seit dem Studium) ganz besonders für Dinge interessiert habe, die nicht in eine einzige Schublade passen, die die Grenzen zwischen Fachrichtungen, Gattungen, Künsten etc. überschreiten. Und da passen Chatbots ganz hervorragend ins Muster, denn um einen guten Chatbot zu konzipieren, muss man sowohl technisch und strukturiert denken können als auch sprachlich kreativ sein.

Meine Hauptfächer im Studium waren übrigens Mathematik und Russisch; darin habe ich Staatsexamen gemacht; Germanistik habe ich bis zur Promotion nur nebenbei studiert.

In den 1990ern, als ich studiert habe, spielten Chatbots noch überhaupt nirgends eine Rolle (die wenigen, die es gab, waren Forschungsarbeiten); und das war noch vor 10 Jahren nicht wesentlich anders. Lustigerweise habe ich damals als Schwerpunkt im Hauptstudium in Mathematik die theoretische Informatik gewählt – das war damals etwas für Vollnerds, galt als vollkommen abstrakt und ohne jegliche praktische Relevanz. Aber viele Grundlagen für das, was heute Künstliche Intelligenz genannt wird, sind genau da gelegt ...

Zu den Chatbots kam ich durch meinen jetzigen Job. Ich arbeite als Texterin und Konzeptionerin bei einer E-Learning-Firma (time4you in Karlsruhe), deren Hauptstandbein Software für E-Learning ist – Learning-Management-System etc., aber auch eine Software, mit der man relativ komfortabel sehr leistungsfähige Chatbots erstellen kann. Diese Software war gerade vermarktungsreif, als ich in die Firma kam, und ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, mich damit und auch konzeptionell mit Chatbots zu beschäftigen. Hatte ich – und es passte einfach perfekt. Inzwischen ist das sogenannte Conversation Design Hauptschwerpunkt meiner Arbeit.

In welchem thematischen Bereich bist du unterwegs?

Als „Learning Designerin“ überlege ich, wie man bestimmte Themen oder Stoffe in digitalen Lernformaten (v. a. in Onlinekursen, sogenannten WBTs bzw. Web Based Trainings, aber eben auch Chatbots) umsetzen kann. Davor war ich viele Jahre in der Unternehmenskommunikation, in Bereichen, die durchaus Ähnlichkeit hatten – oft ging es da auch um Wissensvermittlung oder -dokumentation. E-Learning ist allerdings ein gutes Stück komplexer, weil auch noch didaktische und pädagogische Aspekte berücksichtigt sein wollen und weil man im Prinzip alle Medien nutzen muss – und wissen, wann welche am besten geeignet sind und wann nicht.

Wie sieht es in diesem Bereich mit der Akzeptanz von KI allgemein und Chatbots im Speziellen aus?

Das kommt darauf an. Auf Seite der Anbieter (also derjenigen, die digitale Lernformate entwickeln) ist sie sehr hoch. Die Seite der Anwender hinkt da eher hinterher. Aber das ist in der gesamten E-Learning-Branche so. Die Anbieter, die sich seit Jahren mit digitalem Lernen beschäftigen, sind oft sehr innovativ, und auch die großen Unternehmen haben und machen da inzwischen sehr viel. Gleichzeitig gibt es immer noch sehr viele Unternehmen und Organisationen, die nicht einmal einen Server für so etwas haben.

An welchem Punkt steht deiner Erfahrung nach die KI-Entwicklung? Eher noch am Anfang, oder sind die technischen Grundlagen bereits ausgereift?

Da müsste ich jetzt eigentlich sehr weit ausholen ... Kurz gesagt: KI ist mehr oder weniger ein Marketingbegriff und letztlich auch nur Software – wenn auch zugegebenermaßen auf einem höheren Level als die Software der 90er; aber die Software der 90er war auch auf einem deutlich höheren Level als die der 70er, denn die brauchte noch Lochkarten und Rechner so groß wie Kleiderschränke. Ich habe bereits in meinem ersten Job (das war Ende der 1990er Jahre an einem Fraunhofer-Institut) Pressemeldungen über Bildverarbeitungsverfahren geschrieben, die vom Prinzip her Ähnliches gemacht haben wie die Bildverarbeitung für z. B. das autonome Fahren heute – nur natürlich noch nicht so ausgereift und schnell, es war einfach eine frühere Entwicklungsstufe.

Natürlich ist „KI“-Software noch nicht so ausgereift wie Software, mit der man einen Taschenrechner betreiben kann, denn Letztere hatte schon 50 Jahre Zeit zu reifen. Aber das hängt gar nicht so sehr an den Grundlagen – die sind, wie ich oben schon sagte, in ihren Kernelementen schon sehr alt –, sondern an den Konzepten, was wir damit erreichen wollen und können. Entscheidend ist, dass man da realistische Erwartungen hat und nicht davon träumt, dass KI uns Menschen alles abnimmt, nur einfacher und besser – so eine Vorstellung ist reine Fiktion und wird es (dafür gibt es handfeste fachliche Gründe) auch bleiben. Aber das heißt nicht, dass man mit KI nicht schon eine Menge Sinnvolles machen könnte.

Müsste KI allgemein gesellschaftlich noch besser akzeptiert werden?

Ich habe weniger den Eindruck, dass fehlende Akzeptanz das Problem ist, sondern eine gewisse Überbewertung von KI – was durchaus von vielen Anbietern gestärkt wird, die KI als etwas ganz Neues, nie Dagewesenes darstellen, mehr Zauberei als Software. Dazu trägt auch der Begriff „Künstliche Intelligenz“ bei, der – was durchaus im Sinne der Erfinder war – übertriebene Assoziationen weckt. Wenn man sich klarmacht, dass KI eben nicht „intelligent“ ist, sondern nur bestimmte („intelligente“) Verhaltens- und Entscheidungsweisen versucht zu simulieren, ist eigentlich auch die Akzeptanz kein Problem. Die meisten Menschen akzeptieren in ihrem Alltag Software, die viel bedenklicher ist als vieles andere, was unter dem Etikett „KI“ passiert. Wo Akzeptanz fehlt, entspringt das überwiegend einer Angst, KI könne den Menschen ersetzen, ihm den Rang ablaufen – aber das kann sie nicht, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie das je können wird. Eine viel realistischere Gefahr ist, dass wir Menschen KI zu viel bzw. das Falsche zutrauen und aufgrund dessen selbst zu falschen Schlüssen kommen. Wenn wir z. B. glauben, dass KI Verbrecher am Gesicht erkennen kann und in Wahrheit kann die Software nur Gefängnis-T-Shirts von anderer Kleidung unterscheiden, weil dummerweise bei den Trainingsdaten die Verbrecher auf den Fotos alle Gefängniskleidung anhatten, dann haben die T-Shirt-Träger dieser Welt ein Problem ... Aber daran schuld ist nicht die Software, sondern unsere falsche Vorstellung von dem, was sie tut und was wir ihr zutrauen dürfen.

Siehst du negative Auswirkungen auf den klassischen Arbeitsmarkt, weil KI Arbeitsplätze ersetzt?

Wir haben seit Jahrzehnten eine Entwicklung, dass einfache Arbeiten durch technische Systeme und Software automatisiert werden und wegfallen – das begann bereits in den 1970er Jahren, als die ersten Buchhaltungs- und Unternehmenssoftwares eingeführt wurden. Immer hat sich aber im Rückblick gezeigt, dass der eigentliche Stellenschwund gar nicht so groß war, denn gleichzeitig entstanden viele neue, höherqualifizierte Jobs.

Das wird auch bei KI nicht anders sein, zumal sich Expert:innen ziemlich einig sind, dass KI in den meisten Fällen nicht den Menschen vollkommen ersetzen kann, sondern ihn in seinen Aufgaben unterstützen wird. Für mich ist eher die Frage, wie lange eine Gesellschaft diesen Shift von niedrigqualifizierten Stellen zu höherqualifizierten und die dafür benötigte Qualifizierung leisten kann. Irgendwann gehen uns womöglich einfach die klugen Köpfe aus, um all die Softwareingenieur:innen, die wir brauchen, zu stellen, während es für die nicht so klugen Köpfe kaum noch Stellen gibt. Andererseits wird sich auch die IT-Welt sicher noch weiter hinsichtlich der benötigten Qualifikationen ausdifferenzieren. Vor zwanzig Jahren gab es ja auch noch keine Fachinformatiker:innen, und heute halten sie wesentlich den Betrieb mit am Laufen.

Links zum Weiterlesen:

+ persönliche Homepage von Cäcilie Kowald: www.ckowald.de

+ mehr zu Conversation Design und KI bei der Firma time4you: https://www.time4you.de/kuenstliche-intelligenz/

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